Dienstag, 24. Januar 2017

Herausforderungen und Lösungsansätze für Analytics aus Sicht Gesamtdatenmanagement

von Jörg Narr*


Unternehmen sehen ihr angestammtes Geschäftsmodell seit einigen Jahren nicht mehr nur durch den bekannten Wettbewerb und Marktbewegungen bedroht. Auf den Risk-Radar traten zusätzlich bereits sehr reale Akteure (Start-ups, Akkumulatoren) und Entwicklungen (Digitalisierung, Internet of Things) sowie eine Vielzahl noch mehr oder weniger konkreter Risiken. Unter letztere fallen etwa Spekulationen, ob Google & Co. in bestehende, traditionelle Märkte eindringen werden und inwiefern der technische Fortschritt Einfluss auf bestehende Geschäftsmodelle nehmen wird – etwa selbstfahrende Autos auf die Versicherungs- oder Transportwirtschaft. Dies und die sehr präsente Kommunikation in Medien sowie Publikationen von Unternehmensberatungen und Softwareherstellern generieren einen "Sense of Urgency" in den Unternehmen der Old Economy. Ziel dieser ist es, die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen zu meistern, die häufig aus einer Mischung von Start-ups, Digitalisierung, Big Data und Analytics zu bestehen scheinen.      

Eine Antwort von Unternehmen ist die Schaffung der oder eines Äquivalents zur Rolle des Chief Data Officers (CDO) sowie einer ihm zugeordneten Organisationseinheit. Diese kann in Bezug auf Mitarbeiter-zahlen grösser oder kleiner ausfallen, abhängig von den zu erfüllenden Zielen und auszuführenden Funktionen. Den generellen Scope der Rolle CDO haben mehrere Unternehmensberatungen und Software-dienstleister bereits vor Jahren definiert[1] oder mit aktuellen Erkenntnissen und der Entwicklung in den Unternehmen aktualisiert[2]. Regelmäßig – und vielen Darstellungen gemeinsam – umfasst der Verant-wortungsbereich des CDO die Bereiche Data Governance, Daten (Architektur) Management, Data Warehousing und Business Intelligence. Je nach Ausprägung auch Analytics und die Schaffung neuer Geschäftsfelder durch Analytics und Daten (s. Abbildung 1).


Abbildung 1: Exemplarischer Leistungsumfang einer CDO-Organisation


Ein weiterer für Umfang und Verantwortung der neuen Rolle und Organisation entscheidender Faktor ist, ob sie zur Umsetzung der Transformation lediglich Governance-Funktionen wahrnehmen soll oder, in der gegen-läufigen Ausprägung, auch für einen signifikanten Teil des IT-Portfolios Delivery Verantwortung trägt. Diese beinhaltet dann eigene Applikationen, IT-Services und Dienstleistungsangebote. 

Im letzteren Fall sind Applikationen und IT-Services für eine Platzierung im Bereich des CDO prädestiniert, welche gemeinsam genutzte Stamm- und Referenzdaten für die Gesamtorganisation zur Verfügung stellen. Regelmässige Kandidaten sind neben IT-Applikationen für unternehmensweit genutzte Partner-, Regions-, Vertriebs- und  Produktstammdaten auch Applikationen, welche häufig extern erzeugte Referenzdaten wie Währungen, Länderbezeichnungen und -codes verwalten und bereitstellen. Andere extern definierte und gepflegte Informationen, wie etwa Markt- und Wettbewerbsinformationen, Branchencodes oder Unter-nehmens(steuer)-Identifikationsnummern komplettieren das Feld. Ferner können zentralisierte Applikationen und Repositories für das unternehmensweite Metadaten- und Datenqualitätsmanagement in den Bereich des CDO fallen. Ist der Bereich "Analytics" ebenfalls im Stellenprofil des CDO verankert, kommen sämtliche Daten-integrations- und Analyseapplikationen für die Entscheidungsunterstützung hinzu. Hierunter fallen das Data Warehouse oder alle verstreuten "Bereichs-Data-Warehäuser", Bereichsspezifische Data Marts, sämtliche Reporting-, Planungs- und Analyseapplikationen sowie Big-Data- und Analytics-Applikationen und -Infrastrukturen.

Gleich mehrere Darstellungen sehen es als Aufgabe eines solchen CDO, Geschäftsbereiche über auf Daten und Analytics basierende Geschäftsmodelle zu beraten oder gleich neue Geschäftsmöglichkeiten mit Bezug zu Daten und Analytics zu generieren.

Mit der Schaffung dieser Rolle und Organisationseinheit haben das Unternehmen und der CDO somit die Möglichkeit, die Datenerstellungs- und Bewirtschaftungsprozesse aus einer zentralen Stelle heraus zu führen, die Governance über die Datenwirtschaft sicherzustellen und den notwendigen Change herbeizuführen. Letzter umfasst dabei auch die Herausforderung, „Daten als Asset“ zu managen und zu verstehen. So leicht wie sich dies schreibt oder liest, ist die Umsetzung hingegen nicht.

Herausforderungen sind etwa:
  • die schiere Menge an Themenfeldern, welche den Scope bisheriger Business-Intelligence-Kompetenzzentren oder Data-Science- oder Analytics-Einheiten signifikant übersteigt 
  • Daten als „Asset“ zu verstehen und zu managen bedeutet u. a., dass Mitarbeiter der Fachbereiche prozess- und organisationsübergreifend denken, handeln und entscheiden müssen 
  • Fachbereiche müssen echte „Ownership“ für Daten übernehmen und u. a. definieren und priorisieren, welche Datenobjekte, ja Datenfelder, für ihren Geschäftserfolg entscheidend sind
  • das Verständnis, dass Geschäftsentscheidungen Datenqualität und damit Nutzbarkeit einerseits konkret beeinflussen und andererseits dieselben Daten die faktenbasierte Entscheidungsfindung signifikant beeinflussen können, ist nicht durchgängig vorhanden 
  • häufig sind vorhandene Datenapplikationen in komplexe IT-Landschaften integriert und damit meist Bestandteil der IT-Legacy 
  • die Anzahl unterschiedlicher Technologien auf den diversen Ebenen der Datenbewirtschaftungskette (Datenextraktion und -bewegung, Datenspeicherung, -aufbereitung, -präsentation und -analyse) 
  • damit verbunden die Anzahl unterschiedlicher, auf die jeweiligen Bedürfnisse der Organisation ausgerichteten Applikationen von Data Lakes über DWH und BI bis analytische Streaming-Applikationen und Applikationen zur Verwaltung von Stamm-, Referenz- und Metadaten  
  • häufig sind fachbereichsübergreifende (End-to-End-)Prozesse der unternehmerischen Geschäftstätigkeit betroffen bzw. wirken auf Daten ein 
  • die starke, wechselseitige Abhängigkeit der Strategien der Geschäfts- oder Fachbereiche, von Operations und/oder IT 
  •  der hohe Anspruch an das Management und das Verständnis von Geschäftsprozessen  
  • ein sehr hoher Anspruch an die Kompetenz (methodisch, systematisch und Fachwissen über das Geschäft und beteiligte Prozesse) der Mitarbeiter sowohl in der CDO-Organisation als auch im Unternehmen
Der CDO und seine Organisation haben verschiedene Möglichkeiten und Handlungsspielräume, auf die in Priorität über die Zeit variierenden Anforderungen zu reagieren bzw. das Zielbild zu gestalten. Die Handlungs-spielräume sind häufig beeinflusst durch aktuelle Geschäftsziele und strategische Vorhaben, das in-flight Projektportfolio, IT-Strategie, IT- und Datenlandschaft, Maturität der Organisation in Bezug auf Prozess-, Methoden- und IT-Lösungskompetenz sowie vorhandenes Personal und weiterer vorhandener Ressourcen, nicht zuletzt Change-Budget.

Die o. g. Rahmenbedingungen werden in der Regel dazu führen, dass von Beginn an kein rein auf ein Teilziel fokussiertes und stringentes Vorgehen umgesetzt werden kann. Viel häufiger wird die CDO-Organisation die Umsetzung ihrer Ziele auf initialen Prioritäten und auf einem auf taktischen Zielen basierenden Plan starten und diesen unterwegs aktualisieren und verbessern. Damit kann die dringend benötigte "Delivery" sicher-gestellt, der Change gestartet und das "Customer Buy-in" erzeugt, erhalten oder gestärkt werden, während gleichzeitig der Aufbau der Organisation, Skills, Prozesse, Methoden und Tools vorangetrieben werden. Doch bereits diese inkrementelle und eher den agilen Vorgehensweisen angeglichene Lösungsmethode fordert sowohl der Organisation als auch der Führungscrew hohe Fähigkeiten ab, die durch geeignete Werkzeuge und Methoden ergänzt werden sollten. Zudem sind ein sehr gutes Stakeholder- und Erwartungsmanagement notwendig, sowie Governance und system-/technische Grundlagen wie
  • eine klare Definition der Ambition im Data Management und deren Beitrag zur Erreichung der Geschäftsziele 
  • die Sicherstellung eines gemeinsamen Verständnisses von CDO-Organisation und Kunde zum aktuellen Status der Daten- und Analytics-Landschaft und Capabilities 
  • eine klare Definition über zu erbringende Leistungen zur Erreichung der (Zwischen-)Zielzustände und mit der Leistungserbringung verbundener Aufwände 
  • für die Anforderungsabdeckung geeignete und erweiterbare Analytics-Architekturen 
  • die Einführung einer Governance und Kennzahlen zur Steuerung des Daten- und Analytics-Projektportfolios.
Zu geeigneter Zeit folgt die teilweise inkrementelle oder vollständige Ausarbeitung einer auf den Geschäfts- und Bereichszielen basierenden Analytics- und Datenstrategie. Ergänzende operative und steuernde Massnahmen erhöhen zusätzlich die Erfolgsaussichten.

Die Einhaltung der oben genannten Empfehlungen erfordert klare Priorisierungen und stellt eine signifikante Aufgabe für die neue Organisation dar; sie kann die Leistungen der CDO-Organisation in den Augen der (internen) Kunden jedoch zur begehrten und geschätzten Capability werden lassen. Eine gute Unternehmensführung und –kultur, welche die Transformation zur datengetriebenen Unternehmung unterstützen, sind zudem von unschätzbarem Wert.

*Jörg Narr ist Head Data & Analytics bei Zurich Versicherungs-Gesellschaft AG. Er hält bei der Business Intelligence Agenda die Keynote zu diesem  Thema, in dem er seine Erfahrungen im Aufbau einer Data & Analytics-Organisation teilt.



(1) (IBM Global Business Services: Marc Teerlink, Paula Wiles Sigmon, Brett Gow and Kingshuk Banerjee, 2014)
(2) (Deloitte Consulting: Steve Jansz et al., 2016)